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Bedouin | 4 Fragen an Stefan Loeber

Für das Buch „Bedouin“ reisten Sie zu den Beduinen in die Negevwüste in Israel.
Mehr als 200.000 von ihnen leben dort, die Hälfte von Ihnen in Ortschaften unter
schwierigen Bedingungen ohne vom Staat anerkannt zu werden. Wie sind Sie auf
dieses Thema gekommen?
Ich bin auf das Thema eher zufällig gestoßen. Als ich die einfachen Hütten bei einer
Autofahrt neben dem Highway gesehen habe, hatte ich sofort die Intuition: Dort will
ich hin. Es kam mir wie ein unwirklicher Ort vor, zu dem man als Außenstehender
normalerweise keinen Zugang bekommt.

Die Beduinen in Israel haben eine der höchsten Geburtenraten der Welt. Die Anzahl
der Beduinen in der Wüste Negev verdoppelt sich alle 15 Jahre. In Deutschland
bekommt eine Frau durchschnittlich 1,38 Kinder, eine Beduinin im Negev wesentlich
mehr. Familien mit über 10 Kindern werden als normal angesehen.

Doch der Bildungsstand ist schlecht, Arbeit gibt es wenig, es gibt alte
Landansprüche, denen nicht stattgegeben wird und daraus folgen regelmäßige
Hauszerstörungen. Junge Leute wollen nicht in die eigens vom israelischen Staat
angelegten beduinischen Städte ziehen, obwohl es dafür finanzielle
Entschädigungen gibt.

Die Beduinen in den von den israelischen Behörden nicht anerkannten Dörfern
wollen bewusst den ländlichen Lebensstil weiterleben, können aber dort keine
Baugenehmigungen bekommen – und wenn sie trotzdem bauen, werden die Häuser
wenig später zerstört und so verschwinden teilweise ganze Ortschaften. Das hohe
Bevölkerungswachstum verschärft das Problem.

Die Traditionen sind starr – es gibt allerdings natürlich eine Modernisierung und da
wurde es für mich spannend. In den Städten ist die Lebensform auf einmal sehr
anders. Viele Menschen auf wenig Fläche, das komplette Gegenteil der gewohnten
Lebensform. Es sind spannende Orte – die Fotos erzählen sehr viel. Ich habe
versucht, Geschichten zu erzählen und einen tiefen, authentischen Einblick in diese
Lebenswelt zu zeigen.

In den letzen Jahren hat sich die politische und soziale Situation der Beduinen in
Israel stark verschlechtert. Wie wurden Sie als Außenstehender aus dem Westen
dort empfangen?
Einige haben mich sehr unterstützt und wollten mir weiterhelfen. Andere hatten mehr
Interesse an mir als Person und empfanden die Treffen als sehr bereichernd, glaube
ich. Zu vielen habe immer noch Kontakt.

Wie viel vom regulären Alltag der Beduinen konnten Sie erleben? Und welche
Unterschiede gibt es zwischen den einzelnen Gruppen?
Ich habe sehr viel Zeit dort verbracht, war über 2 Monate an dem Thema dran und
habe z.b. unter dem freien Himmel geschlafen. In einer Ortschaft, die mittlerweile
über 80 mal von der Polizei zerstört wurde und wo das Wohnzimmer eben aus einer
Plane, einem Teppich und einem Fernseher besteht. Alles unter freiem Himmel. Generell hat
mich gerade der Alltag und das tägliche Leben dort interessiert. Nicht das was man
als Tourist normalerweise sieht. Die Beduinen gruppieren sich allgemein stark nach
ihren Stämmen. Dörfer und Wohngebiete werden strikt danach aufgeteilt.

Aus einer der Aussagen eines Beduinen geht eine Anerkennung des IS hervor.
Welchen Blick haben die Beduinen auf Israel und die westliche Welt? Und warum
haben Sie gerade diese Feststellung für Ihr Buch ausgewählt?
Das ist sehr verschieden. Generell gibt es ein großes Unrechtsempfinden aufgrund
der Vertreibung/Flucht und der Landthematik. Ein Teil lehnt Israel deshalb sicherlich
ab – vor allem natürlich Leute aus nicht anerkannten Dörfern. Dort trifft man zum Teil
auf radikale Meinungen, die beängstigend sind. Aber es gibt auch viele, die eine gute
Beziehung zur Regierung anstreben. Der Konsens von politisch aktiven Leuten war
immer: Bekommen die Beduinen ihre Rechte, unterstützen sie den Staat Israel.
Außerdem gibt es gute Projektarbeiten zur Koexistenz. Mir ging es in meinem Buch
darum alle wichtigen Facetten zu zeigen. Deshalb kommen verschiedenste Leute zu
Wort. Der IS ist dort auch ein Thema.

Das Interview führte Michelle van der Veen

Blick ins Buch

Publikation: Stefan Loeber. Bedouin, Dezember 2015
herausgegeben von Stefan Loeber,
mit Texten von Stefan Loeber, Julia Weigl.
Gestaltung: Tom und Stephanie Ising für Herburg Weiland

ISBN: 978-3-7356-0200-8

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